Sammlerin

Unerschrockene Sammlerin

Ein Kunstwerk hängt immer davon ab, daß in seiner Aussage die Kraft einer eigenständigen Persönlichkeit sichtbar wird,  womit ihm auch bleibender Wert zufällt.  

Hanna Bekker vom Rath, 1956
Christus-Torso, Spanien vermutl. 15. Jahrhundert, Museum Wiesbaden

Das erste Objekt, das sich die junge Hanna vom Rath nachdrücklich von ihrem Vater wünschte, hatte sie in einem Frankfurter Antiquariat entdeckt: eine lebensgroße Christusfigur. In dieser Zeit setzte sie sich intensiv mit der christlichen Religion auseinander, lehnte jedoch bereits blinde Gefolgschaft ab: Prüfe selbst und reiflich und dann handle unbeirrt, folge treu deiner Meinung, auch wenn du ganz alleine stehst, hielt sie 1911 in einem Notizbuch fest.

Im ersten Jahrzehnt ihres Sammelns, zwischen 1919 und 1929, waren es immer wieder plastische Werke, die ihre Aufmerksamkeit erregten: darunter der Geneigte Frauenkopf (Büste der Knienden) von Wilhelm Lehmbruck – heute Museum Wiesbaden – und eine chinesische Figur der Sung Dynastie (12. Jahrhundert), die sie testamentarisch dem Ostasiatischen Museum in Berlin vermachte.

Inzwischen ist diese von der wissenschaftlichen Forschung als Wuzhiqi, einer von vier Flussgeistern identifiziert. Von ihr ironisch mal als (guter) Hausgeist, mal als Teufel bezeichnet, beherrschte er von seinem Sockel aus das Rote Zimmer ihres Hauses.

Hanna Bekker vom Rath und ihr „Hausgeist“
Foto Marta Hoepffner, 1943

Zwischen diesen beiden Welten fokussiert sich ihr Sammeln auf die damalige zeitgenössische Kunst: Brücke, Bauhaus und Blauer Reiter. Erste Werke von Heckel, Kirchner und Schmidt-Rottluff kauft sie bei dem berühmten Kunsthändler Ludwig Schames in Frankfurt, während sie nach dessen Tod dazu übergeht, Werke bei den Künstlern direkt zu erwerben, um sie persönlich zu fördern. In der Zeit des Nationalsozialismus erhält diese Form der Unterstützung für die unter Mal- und Ausstellungsverbot stehenden „entarteten“ Maler eine Wertigkeit, die der materiellen kaum nachsteht.

Adolf Hoelzel, Prozession und Alexej Jawlensky Gebirge Oberstdorf
hinter Hanna Bekker vom Rath, Foto Marta Hoepffner, Winter 1946/47

Schon mit den ersten Ausstellungen des Frankfurter Kunstkabinetts zeigt Hanna Bekker vom Rath nicht nur Vertreter ihrer eigenen Generation, sondern bietet auch jüngeren Künstlern ein Forum und sie selbst erwirbt Arbeiten der meisten, auch wenn längst nicht mehr alle Platz an den Wänden des Blauen Hauses finden. 

Auf ihren Ausstellungsreisen bringt sie Arbeiten deutscher Künstler wieder auf die weltweite Bühne – und kommt mit Werken internationaler Künstler zurück, die sie im Kunstkabinett ausstellt. Zugleich erwirbt sie manch eine Arbeit, die mit ihrem Vorbesitzer emigriert war. 

1956 stellt sie unter dem Titel Hofheimer Privatbesitz ihre unverkäufliche Sammlung im Frankfurter Kunstkabinett aus und hält in ihrer Einleitung zum Katalogheft fest: Der kurze Einblick, den die Ausstellung den Besuchern des Frankfurter Kunstkabinetts gibt, soll den Kunstliebhabern aus Frankfurt und Umgebung als Anregung dienen, wie sich eine Sammlung aus kleinen Anfängen langsam aufbaut. … Und wenn es mir gelang, eine gewisse Sicherheit bezüglich der Qualität zu erreichen und auch manche persönliche Freundschaft sich in der Auswahl dieser Sammlung ausdrückt, so hoffe ich doch, daß diese Sammlung, die in einem Zeitraum von etwa 30 Jahren entstanden ist, Freude bereitet und junge Menschen zum Nacheifern anregt

Während der Umfang der Sammlung stetig zunimmt, steigt bei Ausstellungsmachern die Nachfrage nach Leihgaben daraus und Hanna Bekker vom Rath gibt großzügig, ob zur documenta 1, dem Frankfurter Kunstverein oder an Museen. In der Festschrift des Kuratoriums Kulturelles Frankfurt wird Hanna Bekker vom Rath 2007 nochmals als wichtigste Leihgeberin der Ausstellung Moderne Malerei aus Frankfurter Privatbesitz (1963) gewürdigt. 

Malen und Sammeln sind Ausdrucksformen derselben Sache: Etwas in Besitz nehmen. … Zugleich aber halten wir fest: Besitz verpflichtet, jedenfalls im Verständnis der Hanna Bekker vom Rath, so beschrieb der damalige Direktor des Städelmuseums, Klaus Gallwitz, 1978 die Haltung der Jubilarin zu ihrem 85. Geburtstag, zu der sie in Hofheim mit der ersten Einzelausstellung ihrer eigenen Werke geehrt wurde. 

Diese kommt auch in ihrem letzten Willen zum Ausdruck, in dem Hanna Bekker vom Rath verfügte, dass ein wesentlicher Teil der Sammlung an eine öffentlich zugängliche Kunstsammlung im Raum Frankfurt-Darmstadt-Wiesbaden veräußert werden möge. Der Erlös solle nicht an den üblichen Marktwert gebunden sein, um der betreffenden Einrichtung den Erwerb zu ermöglichen. 

Dank dieser Bestimmung konnte der Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. 1987 zentrale Werke aus der Sammlung Hanna Bekker vom Rath aus dem Nachlass erwerben und stellt sie seitdem dem Museum Wiesbaden als erkennbare Dauerleihgabe uneingeschränkt zur Verfügung. In diesem Konvolut mit dreißig Werken sind die Maler Willi Baumeister, Max Beckmann, Erich Heckel, Wassily Kandinsky, Ida Kerkovius, Ernst Ludwig Kirchner, August Macke und Ernst Wilhelm Nay vertreten, sowie Alexej Jawlensky mit 14 und Karl Schmidt-Rottluff mit 5 Gemälden.

Katalog Zwischen Brücke und Blauem Reiter. Hanna Bekker vom Rath als Wegbereiterin der Moderne zur Ausstellung Museum Wiesbaden und Zentrum Paul Klee, Bern 2013

Weitere Werke der Sammlung in deutschen Museen (Auswahl)

Dem Brücke Museum Berlin schenkte Hanna Bekker vom Rath 1967 die Holzskulptur Arbeiter mit Ballonmütze von Karl Schmidt-Rottluff zur Einweihung. Von ihm befindet sich dort auch das Gemälde Dorfecke, sowie mehrere Zeichnungen und Grafiken aus ihrer Sammlung. Die Verspottung von Emil Nolde erwarb das Brücke Museum von der Sammlerin 1981. Hofheimer Motive von Karl Schmidt-Rottluff sind in der Sammlung des Brücke Museums zahlreich vertreten.

Auch im Frankfurter Städel-Museum befinden sich Werke mit der Provenienz Sammlung Hanna Bekker vom Rath:

Das Gemälde Nacktes Mädchen mit Kopftuch von August Macke befand sich ebenfalls zwischenzeitlich in der Hofheimer Sammlung.
Als Schenkung aus dem Nachlass erhielt das Städel 1988 die Holzskulptur Adorant von Karl Schmidt-Rottluff.

Alexej Jawlensky, Stilleben mit violetter Schale, 1912
Schenkung von Hanna Bekker vom Rath, 1973
CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main

Als Vermächtnis von Hanna Bekker vom Rath erhielt das Museum für Asiatische Kunst in Berlin Dahlem 1984 den chinesischen Flussgeist Wuzhiqi. Innerhalb dieser Sammlung ist die Skulptur aus dem 12. Jahrhundert in der 3. Etage des Humboldt Forums seit Oktober 2021 wieder öffentlich zugänglich.

Im Jahr 2013 erhielt das Museum Wiesbaden das Porträt Hanna Bekker von Karl Schmidt-Rottluff als Schenkung von Maximiliane Kraft. Darüber hinaus sind weitere zentrale Objekte aus dem Blauen Haus Teil der Sammlung Klassische Moderne im Museum Wiesbaden geworden, darunter Werke von Alexej Jawlensky und Wilhelm Lehmbruck.

Lehmbruck, Geneigter Frauenkopf, Steinguss um 1920 (postum), Museum Wiesbaden
Jawlensky, Früchtestillleben, um 1908/09, Museum Wiesbaden